"Wir brauchen die Kirche im Dorf" - EAK Rhein-Sieg besucht Bonner Superintendenten Pistorius

20.06.2024

Am Mittwoch, 19. Juni 2024, traf ein Teil des Vorstands des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) Rhein-Sieg den Superintendenten des Evangelischen Kirchenkreises Bonn, Dietmar Pistorius, zu einem Gespräch in seinem Büro im Haus der Evangelischen Kirche in Bonn.

Mit herrlichem Ausblick über den Rhein diskutierten die EAK-Vorstandsmitglieder Prof. Stephan Hobe, Dr. Jens Kreuter, Christoph Laudan, Tilman Rami und Matthias Böhning mit dem Superintendenten über den derzeitigen Stand der Ökumene im Kirchenkreis sowie auf Ebene der Evangelischen Kirche im Rheinland, die anhaltende Herausforderung der Kirchenaustritte und die damit verbundenen finanziellen Folgen sowie die Zukunftsfähigkeit evangelischer Einrichtungen im Rhein-Sieg-Kreis.

Als Thema mit hoher aktueller Brisanz wurde seitens des EAK zudem die Neuorganisation der Gemeinden im Norden des Evangelischen Kirchenkreises Bonn angesprochen. Die dort bestehenden Herausforderungen bei der derzeit laufenden Neuordnung waren - neben der Funktion als Antrittsbesuch des neu gewählten EAK-Vorstands bei Pistorius - einer der Hauptgründe für den Besuch des EAK Rhein-Sieg beim Bonner Superintendenten, dessen Kirchenkreis ansonsten im überwiegenden Zuständigkeitsgebiet des EAK Bonn liegt. Der Zuschnitt der CDU-Kreisverbände (und damit die Zuständigkeiten der Evangelischen Arbeitskreise auf Kreisebene) ist jedoch nicht deckungsgleich mit dem Zuschnitt der Kirchenkreise, sodass manche der Kirchengemeinden des Evangelischen Kirchenkreises Bonn in den Interessens- und Tätigkeitsbereich des Evangelischen Arbeitskreises Rhein-Sieg fallen.

Superintendent Pistorius erläuterte den EAK-Vorstandsmitgliedern, dass es vor allem die schwindenden Ressourcen seien, die ihn und die Evangelische Kirche derzeit enorm herausforderten. Zunächst sei Schwund bei den Pfarrstellen wahrnehmbar. Für das Jahr 2030 gebe es für den Kirchenkreis Bonn nur noch 14,5 verfügbare Pfarrstellen (gegenüber 26,5 im Jahr 2020). Der Grund für diesen Abbau liege zuallererst darin, dass sich zu wenige Menschen für ein Theologiestudium und den Pfarrberuf entschieden, jedenfalls deutlich weniger, als Pfarrpersonen in den nächsten Jahren in den Ruhestand treten. Das führe dazu, dass es nur mit zusätzlichen Maßnahmen, wie zum Beispiel der Einführung eines Masterstudiengangs als Zugang zum Pfarrdienst möglich sein werde, ausreichend Pfarrpersonen zu haben, um die angestrebten Pfarrstellen 2030 auch besetzen zu können. Dass der Abbau von Pfarrstellen zumindest an seinem Anfang nicht in der finanziellen Situation begründet war, sei nicht einfach zu vermitteln, sodass an manchen Stellen der Eindruck entstanden sei, die Kirche spare an ihrem „Kerngeschäft“ - der Verkündigung und Seelsorge. Das nächste Ressourcenthema seien die Gebäude. Da sich die Evangelische Kirche der Treibhausgasneutralität verschrieben habe und das verfügbare CO2-Budget bereits aufgebraucht sei, müsse man sich gut überlegen, wie man mit veraltetem und teilweise sanierungsbedürftigem Baubestand umgehe. Erst als dritten Herausforderungsbereich nannte Pistorius den Mitgliederschwund in der Evangelischen Kirche. Dieser habe sich seit Corona "sehr viel rasanter" entwickelt, "als alle bisherigen Prognosen es vorhergesehen haben". Gemäß der bekannten Freiburger Studie war man bislang von einer Halbierung der Mitgliederzahl bis 2060 ausgegangen. Inzwischen würden die gleichen Experten jedoch davon sprechen, dass die Evangelische Kirche diese Halbierung bereits zwischen den Jahren 2042 und 2048 erreiche. Damit gehe auch einher, "dass uns die Ressource des Geldes ausgeht" und das "in einem Maße, wie es selbst für Bonner Verhältnisse überraschend ist". Denn Bonn sei traditionell ein wohlhabenderer Kirchenkreis innerhalb der Evangelischen Kirche im Rheinland und gehöre zu den "gebenden Kirchenkreisen". Die massiven finanziellen Einbußen gestalteten die zukünftige Haushaltsplanung jedoch sehr herausfordernd. Die Evangelische Kirche müsse deshalb "komplett umdenken" und neue Wege gehen.

Im Hinblick auf die Kirchengemeinden im Bonner Norden, sowie in den angrenzenden Kommunen Alfter und Bornheim habe die Kreissynode einen Beschluss zu den verfügbaren Pfarrstellen gefasst, gemäß dessen vier gemeindeübergreifende Kooperationsräume gebildet werden sollen, in denen miteinander der Pfarrdienst organisiert werde. Bei vereinzelten Gemeinden hätten die neuen Kooperationsräume, die sich an den Kommunalgrenzen orientieren, in die Gemeindegrenzen eingegriffen, so beispielsweise bei der Kirchengemeinde Hersel im Hinblick auf den Ortsteil Buschdorf sowie bei der Kottenforst-Gemeinde, die teilweise auf Bonner Stadtgebiet liegt. Pistorius räumte ein, dass dies zu "viel Ärger, Frust und Unverständnis geführt" habe, man inzwischen aber auf einen guten Weg gekommen sei. Die betroffenen Menschen seien gut miteinander im Gespräch und die verbliebenen sachlichen Fragen würden bald geklärt sein. Die anwesenden EAK-Vorstandsmitglieder sprachen sich dafür aus, den Menschen in den betroffenen Gemeinden angesichts der Neuordnung die notwendige Zeit zur Anpassung zu geben und die neuen Kooperationen gegebenenfalls nicht mit zu hoher Geschwindigkeit voranzutreiben. Außerdem betonten die EAK-Vorstandsmitglieder die Wichtigkeit, trotz anstrengender und komplexer Strukturprozesse in der Kommunikation mit den Menschen vor allem die Begeisterung für den Glauben zu vermitteln. Dem konnte Pistorius nur beipflichten. Es sei der Grund, warum er "bei den Strukturfragen ein gewisses Tempo" vorlege und immer wieder beherzt kommuniziere "das ist nicht unsere eigentliche Aufgabe". Er sehe die Entwicklung aber optimistisch. In drei der vier Kooperationsräume gebe es den Beschluss, bereits 2026 neue Gemeinde zu sein.

Wichtig ist Pistorius ein pragmatischer und lebensnaher Umgang mit den formalen Regularien. Das Kirchenrecht müsse dem Auftrag dienen statt dass der Auftrag durch das Recht geknebelt würde. An einigen komplizierten Stellen ringe er um Lösungen, man sei aber auf der Zielgeraden. Ihm sei dies sehr wichtig, da er der Überzeugung sei, dass Kirche vor Ort gebraucht werde. "Wir brauchen die Kirche im Dorf". Und dort, wo Netzwerke bestehen oder entstehen und sich Menschen treffen, brauche es auch die dafür dafür notwendigen Gebäude. Bald beginne eine Veranstaltungsreihe zur gemeinsamen Entwicklung von Ideen, wie man Gebäude erhalten könne, die eine einzelne Kirchengemeinde nicht mehr finanzieren oder sanieren könne. Nur wenn es gar nicht mehr gehe, sollten diese Gebäude laut Pistorius abgegeben und an Investoren verkauft werden. "Vielleicht fällt uns vorher etwas besseres ein."

Die Leistungsfähigkeit der Kirchen, mit hohen Eigenmitteln aus Kirchensteuern die soziale Infrastruktur des Landes gemäß dem Prinzip der Subsidiarität aufrechtzuerhalten, schwinde rapide. Dies sollten alle politischen Akteure auf dem Schirm haben und Pistorius werde nicht müde, dies immer wieder zu kommunizieren. Im Hinblick auf die Finanzierung von Kindertagesstätten seien einige Kirchengemeinden in zwei bis drei Jahren gezwungen, angesichts ihrer Haushaltslage aus der Trägerschaft auszusteigen, wenn es nicht sehr bald "große Schritte zur Kostenübernahme gebe". Er sei aber strikt dagegen, nun aus Reflex zu sagen, der Staat solle alles selbst machen. Dies sei nicht die Haltung der Evangelischen Kirche und er bitte auch den Evangelischen Arbeitskreis darum, immer wieder dafür zu werben, soweit wie möglich am Prinzip der Subsidiarität festzuhalten.